Holding On [Hub Games/Asmodee] – Rezension

Holding on – Das bewegte Leben des Billy Kerr von Michael Fox und Rory O`Connor
Erstkontakt
„Mein ganzes Leben habe ich den Mund gehalten – aus Angst, aus Loyalität…aus Scham. Und wohin hat es mich gebracht? Jetzt liege ich hier ohne Hose in einem Nachthemdchen und alle machen sich Umstände wegen mit. So darf es nicht enden.“ Schon Titel und Kurzbeschreibung versprechen: Oh, wieder eine Geschichte, die man spielen kann. Da muss man dann gar nicht lange mit mir verhandeln. Wo erzählt wird, bin ich dabei. Werfen wir also einen Blick auf „Holding on“.
Worum geht es?
Unser Alltag als Pflegekraft im Krankenhaus wird durcheinandergebracht, als ein 60-jähriger Patient mit Herzinfarkt namens Billy Kerr im Krankenhaus eingeliefert wird. Wir erfahren, dass er nicht mehr lang zu leben hat, aber bereit ist, mit uns über etwas zu reden, das ihn sehr bedrückt.
In 10 Szenarien müssen wir Billy also nicht nur medizinisch versorgen, sondern auch sein Vertrauen gewinnen, um herauszufinden, was ihn derart beschäftigt.
Die äußeren Werte – Material
Bereits das Cover mit seinen kalten grün-blauen Pastelltönen sticht aus der Masse der quietschbunten Schachteln heraus und passt perfekt zum Krankenhausthema.

In der Schachtel steckt viel: Neben Spielbrett, Figuren und einigen Markern sind das Herzstück des Spiels die Erinnerungskarten, die uns durch Bilder bedeutende Episoden aus Billys Leben zeigen und für die erfolgreiche Abhandlung der Szenarien unabdingbar sind. Dem Zufall ausgeliefert sind wir als Spieler durch die großformatigen Patientenkarten, die uns mögliche Interaktionen mit Billy aufzeigen.
Ein praktisches Inlay hält alles an seinem Platz. Ansprechend bebildert und bis auf Weniges nachvollziehbar erklärt, kommt die Anleitung daher. Kurz: Am Material gibt es für mich kaum etwas auszusetzen.
Die inneren Werte – das Spiel
So ein Arbeitstag im Krankenhaus ist anstrengend: Während Früh-, Spät- und Nachtschicht kümmern wir uns über mehrere Tage um unseren besonderen Patienten. Das Spielziel wird durch das jeweilige Szenario vorgegeben und besteht im Grunde meist darin, Billy zur Preisgabe bestimmter Erinnerungen, im Spiel dargestellt in Bildern, zu bewegen.
Dazu wird je Schicht eine Patientenkarte aufgedeckt, die Billys Zustand beschreibt. Von einigen akuten Notfällen abgesehen, lassen uns die meisten Karten die Wahl, Billy medizinisch zu betreuen oder sein Vertrauen durch besondere Zuwendung zu gewinnen. Wir erhalten im letzten Fall dann Versorgungsmarker, die wiederrum erst eine medizinische Versorgung ermöglichen. Außerdem können wir stattdessen auch Billys Erinnerungen wecken und Erinnerungskarten ziehen. Billy lässt uns dann an seinem Leben teilhaben – vieles bleibt jedoch vage, weil Bildausschnitte fehlen. Erst, wenn wir uns Billy noch intensiver zuwenden – also Versorgungsmarker wieder ausgeben – werden die Erinnerungen konkreter.

Was so einfach klingt, ist knallhartes Ressourcenmanagement. Jede Schicht braucht nämlich zunächst Pflegepersonal. Das steht allerdings nur begrenzt zur Verfügung und ist nachvollziehbarerweise schnell erschöpft, erhält Stress und muss pausieren. Können wir Billy dann wegen Personalmangel oder fehlender Versorgungmarker nicht ausreichend versorgen, verschlechtert sich sein Zustand und es gibt Verwarnungen der Krankenhausleitung. Stirbt Billy oder geht die zweite Verwarnung an uns, ist das Spiel beendet.
Die inneren Werte – Spielgefühl
Ein derart sensibles Thema in einem Spiel unterzubringen ist alles andere als leicht. Das zeigt sich daran, dass man recht schnell beginnt, das Ziel des jeweiligen Szenarios bei den Spielentscheidungen derart in den Vordergrund zu rücken, dass man eine Verschlechterung von Billys Gesundheitszustand in Kauf nimmt. Ein wenig kam das Gefühl auf, Billy „auszuquetschen“, nur um möglichst schnell die geforderten Erinnerungskarten zu erhalten. Da man viele der Erinnerungen bereits aus vorherigen Szenarien kennt, in denen sie aber noch keine Rolle spielten, verkamen die Bilder bei uns recht schnell zum Mittel zum Zweck. Dass im weiteren Verlauf des Spiels neue Erinnerungskarten ins Spiel kommen, schwächt den Effekt kaum ab.

Die Kombination aus Set Collection, Ressourcenmanagement plus Storytelling ist dennoch durchaus ganz gut gelungen. Die Erinnerungskarten bekleiden die nackten Mechaniken, allerdings bringt erst die auf den Szenariokarten fortgeführte Story Billys Geschichte in einen sinnhaften Zusammenhang. Die Szenarien bauen stringent aufeinander auf, Gegenwart im Spiel und Billys Vergangenheit werden auf ansprechende Art miteinander verwoben. Zusätzliche Spielmöglichkeiten ergeben sich dann je nach Szenario und bringen etwas Abwechslung in den sonst wohl drögen Ablauf. Billys Lebensgeschichte erschließt sich uns nämlich manchmal auch erst dadurch, dass wir in der Gegenwart mit wichtigen Personen aus Billys Leben in Kontakt zu treten versuchen. Die Geschichte treibt das Spiel voran. Auch wenn der Spielablauf selbst recht schnell etwas langweilig wurde, war es die Neugier darauf, was uns als Pflegehelfer als nächstes erwarten wird, die uns zur nächsten Runde anspornte.
Fazit
Das war gut:
Billys Erlebnisse sind authentisch, Interessierte können das Geschehene selbst nachlesen. Wer mit einer bewegenden und betroffen machenden Lebensgeschichte konfrontiert werden will, kann hier zugreifen. Spielerischer Ablauf und Geschichte sind ausreichend gut miteinander verzahnt, dass sie über 10 Szenarien tragen.
Das hat nicht gefallen:
- Der Spieler hat frühzeitig Einblick in Erinnerungen, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Rolle spielen. Das Interesse an den Erinnerungskarten flaut daher zu schnell ab.
- Wie bei vielen anderen Spielen, die eine geradlinige Geschichte erzählen, ist der Wiederspielreiz hier gering.
Fazit:
Fans des Storytelling und kooperativen Spiels können hier zugreifen. Freunde des Optimierens und der hundert Wahlmöglichkeiten sollten besser nach etwas Anderem suchen.
Spieltyp | Konfrontationstyp | Zeit | ||||||
Stratege | Nachdenker | Genießer | Fiesling | Stänkerer | Pazifist | viel | mittel | wenig |
Mindestens benötigte Erfahrung:
Einsteiger | Wenigspieler | Vielspieler | Profis |
Vielen Dank an Asmodee für das Rezensionsexemplar!